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    Patient spricht über sein Leben mit Parkinson: „Nachts bin ich ein unbewegliches Zementsackerl“

    Stefan Veigl, am 10. April 2025 | Foto: Margit Kundigraber

    Anlässlich des Welt-Parkinson-Tags am 11. April haben die SN mit Gerald Ganglbauer (67) gesprochen. Er erfuhr mit 48 Jahren von seiner Erkrankung und geht sehr offen damit um – erzählt aber auch über die dunklen Stunden in seinem Leben.

    Die Langversion

    Was Ganglbauer beruflich in Australien getan hat, warum er Selbsthilfegruppen gegründet hat und zeitweise immer noch Auto fährt, lesen Sie unter www.SN.at/wissen

    Stefan Veigl, am 10. April 2025

    SN: Sie haben im Jahr 2006, damals waren Sie gerade 48 Jahre alt, Ihre Parkinson-Diagnose bekommen. Wie kam es dazu? Hatten Sie selbst bereits einen Verdacht in diese Richtung?

    Nein, ich hatte überhaupt keinen Verdacht. Ich habe nur gemerkt, dass gewisse Dinge nicht mehr so gut funktionieren, wie ich es gewohnt war: Das Zähneputzen etwa; oder, dass ich beim Schlafen immer unruhige Beine hatte – und ich hinkte leicht mit dem rechten Bein. Heute weiß ich: Es sind die bekannten kleinen, winzigen Symptome, die auf Parkinson hinweisen, die man aber noch nicht als Gesamtes sieht, wenn man nicht an die Krankheit denkt. Also bin ich einfach zum Arzt gegangen und habe gefragt, was da eigentlich los ist – auch, weil ich sehr müde war. Die erste Vermutung war daher eine chronische Fatigue.  Es hat dann am Ende fast zwei Jahre gedauert, bis ich die Folgen der Diagnose Morbus Parkinson begriffen habe, bis ich gelernt habe, was da für mich als Patient erforderlich ist und wie ich es auf meine Situation umlegen kann.

    SN: Wie war der weitere Verlauf der Krankheit? Mit welchen Einschränkungen kämpfen Sie mittlerweile?

    Der weitere Verlauf war schleichend und unauffällig. In den ersten Jahren kann man die Krankheit sehr gut verstecken; sie fällt kaum jemandem auf. Man denkt einfach, man wird alt und gibt sich vielleicht sogar damit zufrieden. Man denkt sich, es wäre eh nicht so schlimm und macht sein Leben weiter. Aber irgendwann kam ich dann doch zu dem Punkt, wo ich mir gedacht habe: Jetzt werde ich mich mal umschauen, wie es die anderen Parkinson-Patienten machen. Wie geht es ihnen? Was tut sich in ihrem Leben, beziehungsweise was tut sich nicht mehr in ihrem Leben? Denn es ist ja auch interessant, schon vorab die negative Seite der Krankheit kennenzulernen. Denn bevor manches eintritt, kennt man sich zunächst nicht aus. Man trinkt zwar weiter ein Bier, merkt aber, dass man dadurch viel schneller erschöpft wird. Man geht weniger aus. In Summe zeigt sich dann doch ein Bild, das irgendwann nach Parkinson aussieht. Man ist vielleicht noch eine Zeit lang bemüht, sich die Diagnose nicht einzugestehen. Aber irgendwann ist es dann doch normal. Denn, wenn man kein Arzt ist, weiß man im Regelfall nur wenig oder gar nichts darüber. Man glaubt, es ist eine Alterskrankheit; aber ich habe die Diagnose schon mit 48 Jahren erhalten. Man kann sich sehr darüber ärgern, aber man kann es nicht ändern. Aber: Wenn Sie es schaffen, den sanften, schleichenden Beginn auf ein paar Jahre auszudehnen, dann ist man im Nachhinein richtig froh darüber. Denn später wird es immer schlimmer, weil die Krankheitskurve steiler nach unten geht; denn die Einflüsse der Krankheit auf den Körper sind schon sehr umfangreich.

    SN: Ein typisches Symptom vieler Parkinson-Patienten ist ja das Zittern, der Tremor. Zudem haben viele Patienten oft bald erste Probleme mit der Mobilität. Wie ist das bei Ihnen?

    Tremor habe ich ganz selten; fast gar keinen. Es heißt ja, um Parkinson zu klassifizieren, braucht man drei Hauptsymptome; eines davon ist der Rigor, diese typische Steifigkeit; ein weiteres ist der Tremor; und dazu kommt oft noch die Verlangsamung. Ich habe noch keinen Tremor, dafür habe ich eine starke Verlangsamung: Ich habe sozusagen eine Bremse eingebaut, die mich langsamer macht, und schwer, sodass ich mich im liegen nicht mehr selbstständig drehen kann. Bei der Computerarbeit ist es noch nicht so schlimm: Ich fahre mit der Maus über den Bildschirm, wenn es mir gut geht – ich sage, ich bin im On-Modus – in normaler Geschwindigkeit und klicke herum. Wenn ich aber im Off-Modus bin, dann stecke ich überhaupt fest. Ich lege die eine Hand noch mit Hilfe der anderen Hand auf die Maus und fahre damit nur langsam über den Bildschirm. Man kann sich dabei selbst eine Viertelstunde zuschauen, wie die Hand klemmt und nichts weitergeht; und man die Maus nicht bedienen kann. So fühlt sich dieser Zustand an. Es geht natürlich später wieder besser. Aber oft wird die eigene Geschwindigkeit des Körpers so stark gebremst, dass man praktisch schon gelähmt ist.

    SN: Wie oft tritt so eine schlechte Phase auf, bei der Sie fast wie gelähmt sind?

    Das sind keine ganzen Tage, sondern die Frequenzen sind kürzer; das tritt also etwa alle zwei bis drei Stunden auf. Denn ich nehme mein derzeitiges Hauptmedikament in Form von Tabletten alle drei Stunden ein, und mein Dopamin-Spiegel kommt dann weitgehend wieder auf ein normales Niveau. Dann geht es mir eine halbe Stunde oder auch eine Stunde gut und ich bin relativ gut drauf. Ich kann alles machen, was ich machen möchte. Aber das ist dann wieder vorbei. Dann kommt wieder diese Bremse, wo mein Motor zwar läuft, aber ich nicht weiterkomme. Das ist fünf, sechs Mal am Tag. Und in der Nacht bin ich im Moment ein unbewegliches Zementsackerl. Denn ich kann mich nicht selbständig umdrehen im Bett.

    SN: Sie sind ja früher sehr viel beruflich und privat gereist; auch als Musikfan. Ist das für Sie weiterhin noch möglich?

    Reisen ist nur mehr mit Einschränkungen möglich. Ich bin ja tatsächlich ein Weltreisender gewesen: Ich habe mein halbes Leben in Australien und Indien verbracht. Aber ich habe auch heuer schon zwei größere Trips hinter mir: Ich bin nach Barcelona zum Welt-Parkinson-Kongress geflogen. Und ich war auch beim dreitägigen Jazz-Festival heuer im Jänner in Saalfelden. Nach Saalfelden bin ich ganz alleine mit dem Zug angereist. Aber in Saalfelden bin ich draufgekommen, dass so etwas eigentlich fast  nicht mehr geht für mich. Ich bräuchte eigentlich jemanden, der mir hilft; der mich an der Hand nimmt, wenn ich im Off-Modus bin. Denn wenn ich auf On bin, mache ich alles selber, auch den Check-In und so weiter. Aber ich bräuchte jemanden, der mich in der früh aus dem Bett herauszieht. Und insgesamt braucht es für solche Reisen bei mir sehr viel Vorausplanung: Ich muss die Tabletten abzählen, denn es ginge gar nicht, wenn ich die Medikamente nicht dabeihabe. Aber das Fliegen nach Barcelona war möglich, aber nur unter großen Mühen und mit guter Planung: Denn, wenn ich einen Termin habe, muss ich rechtzeitig vorher die Medikamente nehmen, damit ich keinen Stress bekomme. Aber derzeit habe ich insgesamt einen Punkt erreicht, wo ich kaum mehr mit Fremden kommuniziere oder in die Öffentlichkeit gehe und auch keine Ansprachen mehr halte…

    SN … dabei waren bzw. sind sie ja aktuell hauptberuflich Autor, Herausgeber eines Online-Kulturmagazins, sowie Konzertveranstalter. Wie gut und wie lange können bzw. konnten Sie ihren Beruf trotz der Krankheit ausüben?

    Ich habe für den heurigen Sommer noch zum vierten Mal ein Kulturfestival in meiner Wahlheimat, der Gemeinde Stattegg (Bezirk Graz-Umgebung, Anm.), konzipiert und kuratiert. Das ist mein Abschiedsgeschenk an die Gemeinde. Dann ist dieses Engagement für mich vorbei. Aber zum Thema Berufsleben: Wie schon vorhin erwähnt habe ich von 1989 bis 2013 in Australien gelebt und dort als Grafiker mein Geld verdient. Aber, als ich 2006 die Parkinson-Diagnose bekommen habe, habe ich dort bereits innerhalb eines Jahres eine Arbeitsunfähigkeits-Pension genehmigt bekommen. Ich habe aber normal weitergearbeitet, daneben aber immer mehr Dinge gestartet, die ich freiwillig und ehrenamtlich, also ohne Erwerbsabsicht mache. Also, es geht schon irgendwie so dahin. Daher war auch der Verlag, den ich gegründet habe, eigentlich ein Hobby. In Australien habe ich außerdem als Reiseführer im Busch gearbeitet; und habe in meiner Zeitschrift Literatur- und Buchbesprechungen gemacht. Es war also ein Gesamtmix an Tätigkeiten, den ich so gemacht habe. Seit 2013 bin ich wieder zurück in Österreich; da bekomme ich auch eine Pension – aber nur rund 180 Euro, weil ich hier nur etwa 10 Jahre in die Pensionsversicherung eingezahlt habe. Ich bin also versicherungstechnisch gesehen mehr Australier als Österreicher. Ich habe zwar eine besch… Krankheit, aber es gibt Schlimmeres.

    SN: Mit welchen Medikamenten haben Sie die Krankheit bekämpft? Und konnten Sie dadurch zumindestens eine Verlangsamung des Verlaufs erreichen?

    Ja. Ich kenne sehr viele Betroffene – ich bin ja der Initiator mehrerer Parkinson-Selbsthilfegruppen – und tatsächlich ist die Krankheit bei mir langsamer verlaufen als bei anderen. Das liegt vielleicht daran, dass ich versucht habe, die Medikamente sehr regelmäßig zu nehmen. Zuletzt habe ich Madopar bekommen, das soll den Dopaminspiegel heben. Diese Tabletten nehme ich, wie erwähnt, fünf Mal am Tag.

    SN: Sie gehen sehr offen mit Ihrer Erkrankung um und waren auch jahrelang Präsident einer Online-Selbsthilfegruppe. Warum machen Sie das?

    Ich glaube, ich habe es am Anfang gemacht, um mich selbst zu verstehen, um mich selbst mit dem Krankheitsbild auseinanderzusetzen. Im Vergleich mit Kolleginnen und Kollegen habe ich gesehen, dass Parkinson oft aus einem Mix aus Symptomen besteht und daher eine sehr individuelle Geschichte ist. Wenn ich mit jemandem trotz meiner Krankheit auf ein Bier gehe habe ich auch schon Fälle erlebt, wo jemand dann umgefallen ist und sich sogar etwas gebrochen hat. Ich falle manchmal auch um; aber ich bin bisher immer so gefallen, dass ich mir nichts gebrochen, sondern nur blaue Flecken hatte; aber die stören mich nicht. Das Engagement in den Selbsthilfegruppen bringt mir aber auch die Genugtuung, dass ich mit der Krankheit nicht alleine bin; denn hier lernt man Menschen mit ähnlichen Problemen kennen. Daraus sind auch Freundschaften entstanden. Aber auch die beste Selbsthilfegruppe nimmt einem nicht die Schmerzen, die man manchmal in der Nacht hat. Insgesamt fühle ich mich mit meiner Krankheit wie ein Motor, der läuft, aber nicht auf Touren kommen darf.

    SN: Stichwort Motor: Wie ist es um ihre Beweglichkeit bestellt? Manche Parkinson-Patienten landen irgendwann im Rollstuhl.

    Wenn ich gut drauf bin, fahre ich sogar noch mit dem Radl – oder mit dem Auto. Beides geht aber nur in den On-Phasen; in den Off-Phasen muss ich das Auto stehen lassen; weil ich sonst wohl Angst hätte, einen Unfall zu verursachen. Mein Neurologe hat mir schon vor längerem ein Auto mit Automatikschaltung empfohlen, mit dem fühle ich mich wohl. Aber in den Off-Phasen bin ich nicht so reaktionsfähig – etwa mit den Beinen bei den Pedalen.

    SN: Wie geht es Ihnen psychisch? Wie lebt man mit dem Wissen, eine derzeit noch unheilbare Krankheit zu haben?

    Man beschäftigt sich schon – rein theoretisch – auch mit der Suizidfrage. Aber die Ärzte sagen: Schau auf deine Lebensqualität. Denn, solange die Lebensqualität gut ist, kann man gut mit Parkinson weiterleben. Ich kann mich auch noch an mein gesundes Leben davor erinnern. Jetzt ist es schon schwer. Ich freue mich schon, wenn ich eine Stunde lang vergessen kann, dass ich krank bin – weil ich mit einem Freund rede oder einen Film anschaue – dann ist das für mich Lebensqualität! Aber, wenn ich nur mehr im Bett liege und Trübsinn blase, dann weiß ich nicht, was passiert.

    SN: Außerdem haben Sie es geschafft, mittels Rockmusik einen Preis für Parkinson-Forschung stiften zu können. Wie ist das Projekt konkret abgelaufen?

    Das war der Parkinsong-Award, den ich für junge Neurologinnen und Neurologen ausgerufen habe. Wir haben 10.000 Euro zusammengebacht – durch Spenden in der Coronazeit. Damals haben wir ein Konzert live gestreamt; daraus ist der Preis entstanden. Außerdem haben wir eine CD produziert – mit Duetten von etablierten Rock-Musikern, die gemeinsam mit Parkinson-Betroffenen gesungen haben. Das Geld ging an fünf junge Ärztinnen und Ärzte – aus Innsbruck, Graz und Niederösterreich; der Preis wurde auch in den Medien gewürdigt. Und ich habe damals auch noch weitere Benefiz-Konzerte veranstaltet – und nochmals 10.000 Euro als Stipendien für Reisen zum Welt-Parkinson-Kongress in Barcelona vergeben können. Die Stipendien sind je zur Hälfte an junge Forschende und an Parkinson-Betroffene gegangen.

    SN: Im Jahr 2022 sind Sie, mit damals 64 Jahren, auch noch als grüner Gemeinderat in ihrer kleinen Gemeinde aktiv geworden. Warum tun Sie sich das an? Was wollen Sie hier bewegen?

    Ich wollte mich selbst fit halten, darum habe ich mir das angetan. Ich war schon in meiner Zeit in Sydney dort auch Bezirksvorsteher. Daher ist Politik für mich nichts Neues. Mir geht es um die Kleinigkeiten, die man in der Kommunalpolitik bewegen kann, ganz direkt in der Nachbarschaft: Man kann da eine Fußgängerampel und dort eine verkehrsberuhigte Zone oder eine Wohnstraße umsetzen. Das haben wir auch in Sydney so gemacht. Das erste Projekt in meiner jetzigen Heimatgemeinde Stattegg war ein Postkastl, das wir bei uns am Dorfplatz installiert haben.

    SN: Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

    Wünschen und kriegen ist hier ein großer Unterschied. Aber: Der größte Wunsch wäre die Heilung von Parkinson. Diesen Gedanken hat wohl jeder, der von der Krankheit betroffen ist. Denn man will ja nicht weiter durch die Gegend wackeln. Ich wünsche mir, dass ich in der Öffentlichkeit nicht für einen Alkoholiker gehalten werde, sondern, dass das Verständnis für das Krankheitsbild von Parkinson größer wird. Dazu braucht es noch viel Bewusstseinsbildung. Denn es braucht von unseren Mitmenschen auch Verständnis für unsere Unbeholfenheit. Denn unser Hirn funktioniert ja weiter gut; aber ich wirke motorisch patschert – das ist keine schöne Selbstbeschreibung, aber sie trifft zu. So ehrlich muss man sein. Als zweites wünsche ich mir, dass die medikamentösen Behandlungen so viel besser werden, dass auch die Lebensqualität im Verlauf der Krankheit weiter möglichst hoch bleibt. Denn, dass wir jetzt miteinander reden ist ja auch ein Zeichen dafür, dass ich bis auf das Motorische gesund bin.

  • Profil Interview

    Profil Interview

    Leben mit Parkinson: „Manchmal fürchte ich, dass ich wahnsinnig werde“

    Profil Printausgabe Doppelseite
    Seiten 3/4 aus 6 der Druckausgabe des Profil Nachrichtenmagazins

    Vor 15 Jahren wurde bei Gerald Ganglbauer Parkinson diagnostiziert. Seitdem führt der Grazer Autor und Verleger einen aussichtslosen Kampf gegen die heimtückische Krankheit.

    Interview und Fotos von Wolfgang Paterno
    20.08.21

    Es gibt Leberkäsesemmel mit Senf. In seinem Reihenhaus nahe Graz serviert Gerald Ganglbauer an einem Juninachmittag Gehaltvolles. Im Gespräch mit dem Verleger, Autor und Zeitschriftengründer kommt ebenfalls Schweres zur Sprache: Ganglbauer ist 63.

    Vor 15 Jahren wurde bei ihm Parkinson diagnostiziert, jene Nervenkrankheit, an der grob geschätzt 30.000 Menschen in Österreich leiden, bei der im Gehirn aus immer noch ungeklärten Gründen die Dopamin produzierenden Nervenzellen absterben – und der man nachsagt, sie habe 1000 Gesichter: Die Betroffenen bewegen sich verlangsamt, die Muskeln werden steif, Arme und Beine zittern. „Das Gehirn schmerzt; es ist dumpf, befangen, wie von Nebeln umhüllt und von Schwindel durchzogen.

    „Ein unbestimmter Schmerz sitzt in allen Gliedern“, schrieb Thomas Mann in den „Buddenbrooks“ vor 120 Jahren. Als der Autor diese Zeilen notierte, dachte er, es handle sich um Typhus, dabei war es das Parkinsonsyndrom, dessen Symptome erstmals 1817 von dem britischen Arzt und Apotheker James Parkinson beschrieben worden waren. Zehn Pillen pro Tag stehen auf Ganglbauers Medikamentenliste, sechs davon allein gegen Parkinson.

    „KEIN MITLEID EINFORDERN“ Gerald Ganglbauer im Garten seines Hauses in Stattegg bei Graz

    Soeben ist „Kopfbahnhof“ erschienen. „Mein allerletztes Buch“, sagt Ganglbauer, der fast 25 Jahre lang in Australien lebte, ehe er 2013 in die Umgebung von Graz übersiedelte. „Kopfbahnhof“ erzählt von Ganglbauers Auftritt in der Elfriede-Jelinek-Filmadaption „Die Kinder der Toten“, von lebensbedrohlichen Lungenembolien, seinem Gastspiel in der „Barbara Karlich Show“. Vieles in „Kopfbahnhof“ ist erfrischend hemdsärmelig erzählt: „Schon das An- und Ausziehen nervt mich, vor allem kämpfe ich mit den Socken, was vielleicht der wahre Grund zu sein scheint, dass ich fast jedes Handwerk nackt erledige, wie beispielsweise Reparaturen am Dach der Gartenhütte trotz meiner Trittunsicherheit.“ Ganglbauer ist so etwas wie das Gesicht der heimischen Parkinson-Selbsthilfe: Er baute die Österreichische Parkinsonberatung mit auf, gründete lokale Aktionsgruppen und parkinsong.org, ein Projekt mit Musikern und Parkinson-Betroffenen.

    Das erste Album der „Parkinsong Duets“ wurde 2019 beim World Parkinson Congress im japanischen Kyoto präsentiert. „Schreiben geht kaum mehr“, lacht Ganglbauer in seiner Küche: „Also muss ich Rockstar werden.“ Auf der neuen CD „Gerald Ganglbauer &Badhoven“ interpretiert der Grazer unnachahmlich „Drahdiwaberl“-Mastermind Stefan Weber, der 2018 mit schwerem Parkinson starb. Die letzten Sätze in „Kopfbahnhof“ lauten: „Am Kopfbahnhof ist Endstation der Reise, meiner Reise, da gibt es keine Weiterfahrt. Ich bin bewegungslos, Kino im Kopf, ich bin allein, niemand steigt zu. Meine Zeit ist um. Das Problem heißt, Parkinson‘, und es kotzt mich an, dass ich es nicht besiegen konnte.“

    „Wäre ich gesund geblieben, könnte es gut sein, dass ich heute vermögend und fad wäre, ein ganz anderer jedenfalls als der, der ich heute bin“

    profil: Herr Ganglbauer, wie schwer fällt Ihnen die Antwort auf die Frage, wie es Ihnen geht?
    Ganglbauer: Das hängt davon ab, ob mein Gegenüber eine Stunde Zeit hat. Wollte man wirklich wissen, wie es mir geht, müsste man einen Tag mit mir verbringen. Ich lebe, bedingt durch die Medikation, die meinen Kreislauf flutet und am Ende in mein Hirn gelangt, in Wellenbewegungen.

    profil: Wie geht es Ihnen in diesem Augenblick?
    Ganglbauer: Ich irre durch den Dopamin-Nebel. Meine Mimik ist starrer als früher, für mein Vis-à-vis schwerer lesbar. Im Prinzip geht es mir richtig scheiße, dann wieder einigermaßen, dann wieder scheiße, und das fünf Mal über den Tag verteilt. Meist sage ich nur: „Danke, passt schon.“

    profil: Wie erinnern Sie sich an den Moment der Diagnose?
    Ganglbauer: Eine Freundin machte mich aufmerksam, dass ich hinke. Ich und hinken? Niemals! Irgendwann fiel mir auf, dass mein rechter Arm beim Gehen nicht mehr mitschwang. Mein Hausarzt in Australien schickte mich mit Verdacht auf Parkinson zum Neurologen. Ich hatte keine Ahnung, was Parkinson war. Die Symptome verband ich mit dem ehemaligen ÖVP-Politiker Alois Mock, mit dessen bizarr anmutenden Bewegungen. Die Krankheit selbst war mir völlig fremd – wie den meisten bis heute. Man kennt vielleicht noch den Hollywoodschauspieler Michael J. Fox, bei dem 1991 Parkinson diagnostiziert wurde. Fox ist schlecht beieinander, er tut aber so, als sei er gut drauf. Es ist leider so: Der Körper verbraucht sich, die Zellen zerbröseln, bei dem einen früher, bei der anderen später.

    profil: Wie reagierten Sie auf die Diagnose?
    Ganglbauer: Warum gerade ich? An dieser Frage nagte ich jahrelang. Bis heute weiß ich nicht, ob ich in meinem ersten Leben vielleicht Fehler gemacht habe, deren Bestrafung diese Krankheit ist. Niemand kann das wissen, es kann jede und jeden treffen. Irgendwann besuchte ich eine Selbsthilfegruppe in Sydney. Wenn ich in zehn Jahren so ausschaue, gebe ich mir die Kugel, dachte ich damals.

    profil: Was war da los?
    Ganglbauer: Junge Menschen standen empfindungslos da und schlabberten herum. Viele schüttelten sich unkontrolliert. Eine Freakshow. Solche Krankheitsbilder wurden mir dama ls in spätestens zehn Jahren prognostiziert. Nun bin ich 15 Jahre auf der Parkinson-Straße unterwegs und schaue noch verhältnismäßig brauchbar aus.

    „Die Wohlfühlkurve fällt ganz langsam und gnadenlos ab“

    profil: Parkinson als Abenteuertrip?
    Ganglbauer: Durchaus. Noch vor drei Monaten surfte ich auf der Wohlfühlkurve spürbar weiter obenauf. Diese Kurve fällt aber ganz langsam und gnadenlos ab. Fast zehn Jahre lang verlief sie bei mir nahezu linear. In dieser Phase merken Außenstehende so gut wie nichts von der Krankheit, die sich in der Lage noch gut kaschieren lässt.

    profil: Wie muss man sich das vorstellen?
    Ganglbauer: Die Veränderung ist zuerst psychischer Natur: Man wird ruhiger, hat keine Lust mehr, am Abend auszugehen. Man trinkt nur ein statt wie früher drei Bier und will um Mitternacht im Bett liegen. Man wird unsozial. Während dieser Zeit stellen sich erste motorische Veränderungen ein. Ich konnte eines Abends meine Zähne nicht mehr mit einer Hand putzen.

    profil: Die Wissenschaft teilt die Krankheit in drei Stadien ein.
    Ganglbauer: Das Anfangsstadium ist der Honeymoon: Man lernt einander kennen, wird mit Mr. Parkinson persönlich. Man verändert sich allmählich durch die Medikamente.

    profil: Ihr Honeymoon ist vorbei.
    Ganglbauer: Wir pflegen inzwischen eine gute, asexuelle Freundschaft: Kumpel Parkinson. Die Lage verschlimmert sich zusehends. Wehe dem, der den Honeymoon nicht genützt hat! Ich werde inzwischen zuweilen als behindert eingestuft, zumindest in den Off-Zeiten.

    profil: On und Off ist der Code für das tägliche Auf und Ab der Krankheit.
    Ganglbauer: In den On-Zeiten wirkt das L-Dopa der Tabletten als Vorstufe des Dopamins im Gehirn verhältnismäßig gut.

    profil: Was zeichnet die dritte Phase aus?
    Ganglbauer: Nach dem Rollator in der zweiten folgt der nicht mehr selbst bewegte Rollstuhl, man wird unausweichlich zum Pflegefall. Die Muskeln werden unkontrollierbar. Man ist zu einem „potscherten Leben“ verurteilt, wie André Heller und später auch der Boxer Hans Orsolics sangen. Sprach- und Wortfindungsschwierigkeiten stellen sich ein. Einigermaßen habe ich mich noch unter Kontrolle: Ich befinde mich ja erst am Übergang ins zweite Stadium und habe nicht vergessen, dass ich vorhin die Autofenster offengelassen habe.

    „Parkinson ist ein graues, tonloses Schweben im Nirgendwo.“

    profil: Ein Krankheitsbild ist auch die sogenannte Parkinson-Demenz.
    Ganglbauer: Ich habe bereits öfter das Haus unverschlossen gelassen. Der Pool im Garten lief auch schon einmal über. „Der zerstreute Professor“, so nannte man die Symptomatik früher. Die Leute beschimpfen Betroffene als „Sandler“ und „Sozialschmarotzer“, die eine Pension beziehen, obwohl es ihnen gut gehe. Meine Mutter wurde sehr alt. Ihre Bettnachbarin im Altersheim hatte Parkinson, was uns eine Pflegerin erst nach ihrem Tod sagte. „Was ist denn mit der?“, fragte meine Mutter immer wieder. „Einmal rennt sie wie von der Tarantel gestochen herum, dann liegt sie wieder wie tot im Bett.“ Diese Frau im Nebenbett flehte mich bei jedem meiner Besuche an, ich möge sie umbringen. Fürchterlich.

    profil: Der 2006 verstorbene Dichter Gerhard Amanshauser litt ebenfalls unter dieser Form der Demenz.
    Ganglbauer: Bei einer seiner Lesungen rief Amanshauser erstaunt aus: „Mei, das gefällt mir! Wer hat das geschrieben?“ Ein zutiefst rührender Moment.

    profil: Drahdiwaberl-Chef Stefan Weber schrie ins Mikro: „I wüü a Dauererektion/ I scheiß auf den Parkinson/ the show must go on.“
    Ganglbauer: Das entspricht meiner Befindlichkeit, vielleicht abgesehen von der Dauererektion. Ich war bei Stefan im Spital, kurz bevor er starb, und habe mit ihm geredet – wobei „geredet“ vielleicht übertrieben ist. Es war reine Einwegkommunikation. Stefan hat nur mehr mit den Augen geblinzelt. Wie ein Kind lag er in diesem riesigen Spitalbett.

    profil: Ihre Krankheit neigt sich unbarmherzig einem schlimmen Ende entgegen. Ist das nicht zum Verrücktwerden?
    Ganglbauer: Manchmal fürchte ich, dass ich wahnsinnig werde. Die langsamen Foltermethoden sind die wirkungsvollsten. Die Chinesen ließen einst Bambus in die Körper ihrer festgebundenen Opfer wachsen. Das Gewächs bohrte sich über Tage in den Leib. Ganz ähnlich sind die Vorgänge bei Parkinson. Ich kenne keine andere Krankheit, die derart grausam und konsequent in einem arbeitet. Irgendwann spürt man seinen eigenen Körper nicht mehr.

    „Parkinson ist ein graues, tonloses Schweben im Nirgendwo.“

    profil: Ist Ihnen das Lachen inzwischen vergangen
    Ganglbauer: Situationsbedingtes Lachen geht noch halbwegs. Ich habe auf Fotos schon früher nie gern gelächelt. Meine Mimik wird starrer. Inzwischen lache ich halt innerlich.

    profil: Viele Kranke hadern mit ihrem Schicksal. Sie auch?
    Ganglbauer: Wäre ich gesund geblieben, könnte es gut sein, dass ich heute vermögend und fad wäre, ein ganz anderer jedenfalls als der, der ich heute bin. Ich war ein Abenteurer. In Australien lotste ich als Crocodile Dundee Touristen durch den Busch. Ich war ein Sonnenkind. Das Leben war gut. Life’s a beach. Heute fühle ich mich wie ein zittriger Greis.

    „Ich selbst bemühe mich, so zu leben, als wäre jeder Tag mein letzter, was selten glückt“

    profil: Die Krankheit warf Sie aus Ihren Träumen. Was erhoffen Sie sich noch?
    Ganglbauer: Ich will Rockstar werden, Auftritte vor vielen Menschen bewältigen. Mit dem Schreiben geht es langsam zu Ende. Meine Finger treffen die Buchstaben auf der Tastatur nicht mehr, mit der Hand kann ich die Computermaus kaum noch bedienen. Ich war früher eloquent. Ich konnte aus dem Stegreif eine Rede vor 100 Leuten halten. Inzwischen zittere ich, wenn ich mich mit fünf Menschen am Tisch unterhalten muss. Meine Stimme wird leiser und flacher, man versteht mich schlechter. Auch deshalb bin ich auf Rockmusik angewiesen. Sollte ich in zwei Jahren krankheitsbedingt nicht mehr laufen können, werde ich ohnehin im offenen Chevy herumkutschiert.

    profil: Ein Mann mit 50 bekommt die Diagnose Parkinson. Was raten Sie ihm?
    Ganglbauer: Ich würde mit ihm kegeln gehen, ein Bier mit ihm trinken. Die Fakten zur Krankheit kann er nachlesen, auf die Feinheiten kommt er ohnehin selbst. Ich würde versuchen, ihn vom Druck der Krankheit zu entlasten. Ich selbst bemühe mich, so zu leben, als wäre jeder Tag mein letzter, was selten glückt. Man darf kein Mitleid einfordern. Wer mit Parkinson 90 wird, benötigt mindestens zehn Jahre lang Pflege. Für Angehörige ist das die schlimmste Zeit. Das kann man niemandem aufbürden.

    profil: Sollten wir uns in einem halben Jahr wiedertreffen: Wem säße ich gegenüber?
    Ganglbauer: Da könnte ich vergessen haben, wer Sie sind.


    Wolfgang Paterno ist seit 2005 profil-Redakteur.